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Die 4 apokalyptischen Reiter einer Beziehung und wie du sie vertreibst

Nicht nur das Ende der Welt soll von Ihnen angekündigt werden, nein auch für Partnerschaften können sie eine verhängnisvolle Zukunft prophezeien. Das behauptet jedenfalls der US-amerikanische Psychologe und Verhaltenstherapeut John Gottmann. Über Jahrzehnte hinweg untersuchten er und sein Team im Ehelabor „LoveLab“ an der University of Washington Paare in Konfliktsituationen. Durch ihre Ergebnisse war es möglich mit über 90% Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, welche Paare mittelfristig zusammenbleiben und welche Paare sich trennen – und das aus der Beobachtung eines einzigen Streitgesprächs. Die 4 apokalyptischen Reiter sind destruktive Kommunikationsmuster, die früher oder später zum Ende einer Paarbeziehung führen können und finden sich deshalb auch in der modernen Paartherapie wieder. In diesem Artikel stelle ich dir die verschiedenen Verhaltensweisen im Detail vor und gebe dir geprüfte Alternativen an die Hand, die deine Partnerschaft langfristig stärken.

Inhalt:

Kritik als Auftakt der 4 apokalyptischen Reiter

Unerledigte Aufgaben, verpasste Termine, Missverständnisse. Die Liste von möglichen Reibungspunkten bei Paaren kann lang sein. Das ist komplett normal, genau wie die dazugehörigen Gefühle wie Ärger, Frust und Enttäuschung. Jeder von uns hat seine eigene Persönlichkeit und Gefühle werden je nach Temperament mal mit mehr oder weniger Emotionen zum Ausdruck gebracht. Mitunter sind es aber auch eigene ungelöste Probleme, für die wir, in den Verfehlungen unserer Mitmenschen, nur zu leicht eine einfache Antwort suchen.

Es ist wichtig, dass wir diese Themen und Gefühle mit unserem Partner besprechen. Nur so können wir sicher gehen, wie beide Partner den Sachverhalt wahrnehmen, ohne uns auf eigene Annahmen zu verlassen. Ich selbst neige des Öfteren dazu Konflikten aus dem Weg zu gehen, um jede Form der Eskalation im Keim zu ersticken. Typisch Mann möchte Frau sagen. Die Konfrontation bleibt aus, die Wahrnehmung meiner Gefühlswelt aber auch. Im besten Fall nimmt meine Partnerin gar nichts wahr, im Schlimmsten Fall einen schlecht gelaunten, in sich gekehrten Mann, dem man besser erstmal aus dem Weg geht. Über kurz oder lang führt diese Form des Aufstauens von schlechten Gefühlen bei der nächstpassenden Gelegenheit dann oft zu Aussagen wie:

„Ich kann nicht glauben, dass du schon wieder (a,b,c) vergessen hast. Immer muss ich (d,e,f) machen, weil du dich nur um (x,y,z) kümmerst. Ich habe das Gefühl, dich interessiert das überhaupt nicht.“

Typisch für Reiter Nummer 1 sind dabei DU-Botschaften, die den Angesprochenen direkt verantwortlich machen. Die eigene Gefühlswelt bleibt dabei unausgesprochen und kann vom Gegenüber nur anhand von Mimik, Gestik und Stimmlage erahnt werden. Verallgemeinernde Schlagworte wie „immer“, „nie“ oder „jedes Mal“ verstärken die Kritik nur noch. Was du deinem Partner aber auf diese Weise mitgibst ist:

Mit dir, mit deiner Persönlichkeit stimmt etwas nicht.“

Die Folge. Der Kritisierte bleibt angegriffen, abgelehnt und verletzt zurück. Das eigentliche Problem bleibt unbearbeitet. Was also tun, wenn wir uns missverstanden, übergangen, unbeachtet fühlen oder einfach ein Problem ansprechen wollen? Und wie umgehen mit verallgemeinernder Kritik, wenn sie trotz guter Vorsätze ausgesprochen wird?

Als bessere Variante gegenüber der Kritik hat sich in der Praxis die konkrete Beschwerde erwiesen. „Complaining without Blaming“ (beschweren ohne zu beschuldigen) beschreibt Gottmann diesen Ansatz selbst. Der Unterschied liegt in der Beschreibung eines möglichst konkreten Sachverhalts, mit der für beide Parteien die Situation transparent wird. Sei dabei ruhig so sachlich und nüchtern wie möglich, auch wenn es sich anfänglich albern anfühlt und wahrscheinlich nicht zu deinen Emotionen passt. Für deinen Partner wird es so aber überhaupt erst möglich, sich deinem Problem anzunehmen und nicht sofort in den Angriffs-/Fluchtmodus zu schalten.

Statt einem:

„Immer liegt hier deine Dreckwäsche rum! Ich hab’s satt ständig alles hinter dir herzurräumen!“

versuche es das nächste Mal doch mit einem:

„Ich habe im Bad 2 Paar alte Socken und deine Sportsachen auf dem Boden liegen sehen.“

Damit im nächsten Schritt die Wäsche Ihren Weg auch noch zum angedachten Platz findet, solltest du deinem Partner unbedingt die Gefühle beschreiben, die die Situation bei dir auslöst. Bist du einfach erschöpft von deinem Tag und die Wäsche im Bad überfordert dich gerade, weil eigentlich noch gefühlt 100 andere Dinge zu erledigen sind? Oder empfindest du Wut und Verzweiflung, weil es dir bei aller Anstrengung nicht gelingt, Zeit für die Dinge zu finden, die dir gut tun? Oder hast du ungeduldig den Besuch im Nacken, der gleich da sein sollte und du schämst dich für den Anblick im Bad? Egal was es ist, du kannst deinem Partner helfen dich besser zu verstehen, indem du ihn an deiner Gefühlswelt teilhaben lässt.

„Ich habe im Bad 2 Paar alte Socken und deine Sportsachen auf dem Boden liegen sehen. Ich habe heute noch so viel zu erledigen und bin gerade echt überfordert, wie ich das schaffen soll.“

Im letzten Schritt äußern wir dann eine Bitte und fordern damit unser Gegenüber zu einer konkreten Handlung auf, die in der Situation unsere Bedürfnisse erfüllt.

„Ich habe im Bad 2 Paar alte Socken und deine Sportsachen auf dem Boden liegen sehen. Ich habe heute noch so viel zu erledigen und bin gerade echt überfordert, wie ich das schaffen soll. Räumst du bitte deine Sachen im Bad in den Wäschekorb, dann kann ich das schon mal abhaken.“

Geschafft. Was mich in der Erstellung des Beispiels eine halbe Stunde gekostet hat, wird in der Realität weitaus schneller ablaufen. Das klingt erstmal ernüchternd, aber genau hier liegt oft das Problem und zugleich ein möglicher Ansatz für den Alltag. Nur allzu leicht, lassen wir dem ersten Impuls freien Lauf. Wem es jedoch gelingt, kurz inne zu halten, tief durchzuatmen und sich die folgenden 3 Fragen ehrlich zu beantworten, der hat beste Chancen eine konkrete Beschwerde hervorzubringen, die bis auf die Bitte nur Ich- statt Du-Botschaften aussendet:

  • Was genau nehme ich gerade wahr?
  • Wie fühle ich mich dabei?
  • Was kann mein Partner für mich tun?

Leider gibt es auch mit der besten Beschwerde keine Garantie dafür, dass dein Partner deiner Bitte nachkommt. Eine Bitte ist keine Anweisung und dein Partner nicht dein Angestellter. Das solltest du im Hinterkopf haben und akzeptieren können, auch wenn es schwer fällt. Vielleicht hat auch dein Partner gute Gründe, die es ihm gerade nicht möglich machen, deiner Bitte nachzukommen. Mit der Beschwerde ist es dir im Gegensatz zur Kritik aber in jedem Falle gelungen, deine Gefühle offen (mit-) zu teilen und deinen Partner nicht zu verletzen. Schon damit leistest du einen ganz wesentlichen und wertvollen Beitrag zu einer gesunden Beziehung.

Geht’s noch schlimmer? – Reiter Nr. 2: die Verachtung

Was passiert, wenn man es mit der Kritik übertreibt oder ihr zu lange ausgesetzt ist, zeigt uns der zweite der 4 apokalyptischen Reiter – die Verachtung. Sie ist die destruktivste der hier vorgestellten Verhaltensweise und laut den Erkenntnissen des LoveLab’s auch das deutlichste Anzeichen für ein mögliches Ende der Partnerschaft. Verachtung kann sich hinter einem Augenrollen, einem hämischen Lachen oder einer nachgeäfften Bewegung verbergen. Sprachlich finden wir sie versteckt in abschätzigen Bemerkungen, Spott und Sarkasmus. Egal in welcher Ausprägung, Verachtung würdigt den Menschen, der ihr ausgesetzt ist, immer herab. Ein Partner, der so handelt, sagt im Prinzip:

„Ich bin etwas Besseres als Du.“

Diese gesteigerte Form von Kritik begegnet uns auch außerhalb von Liebesbeziehungen, vor allem in Konstellationen, bei denen die Gesprächspartner von Haus aus nicht auf Augenhöhe agieren, wie z.B. bei Eltern und ihren Kinder, Lehrern mit ihren Schülern oder Chefs mit ihren Angestellten. Scham ist ein häufig auftretendes Gefühl beim Verachteten, nicht zuletzt wenn ihn die Verachtung auch noch öffentlich, vor Freunden, Kollegen oder der eigenen Familie trifft. Dabei sollte gerade die eigene Partnerschaft ein Ort der Wertschätzung und Sicherheit sein. Wie sollen Intimität und Vertrauen entstehen und bestehen, wenn man fürchten muss, dass die eigenen Schwächen nicht akzeptiert und im Zweifel gegen einen verwendet werden? Die Ursachen für dieses Vorgehen liegen vor allem in ungeklärten bzw. unausgesprochenen Themen, die einen anhaltend negativ über den Partner denken lassen. Was am Anfang mit Sicherheit noch als Beschwerde geäußert wird, kann im Laufe der Zeit von verallgemeinernder Kritik bis hin zur offen ausgesprochenen Verachtung für ein bestimmtes Verhalten heranwachsen. Diese Steigerung am Beispiel mit den alten Sachen im Bad könnte z.B. wie folgt aussehen:

„Ich habe im Bad 2 Paar alte Socken und deine Sportsachen auf dem Boden liegen sehen. Ich habe heute noch so viel zu erledigen und bin gerade echt überfordert, wie ich das schaffen soll. Räumst du bitte deine Sachen im Bad in den Wäschekorb, dann kann ich das schon mal abhaken.“

(Beschwerde)

„Immer liegt hier deine Dreckwäsche rum! Ich hab’s satt ständig alles hinter dir herzurräumen!“

(Kritik)

„Pass auf, dass du nicht noch über den Wäscheberg meines Mannes stolperst. Wie man sieht hat er mit der Ordnung leider noch nie viel am Hut gehabt.“

(Verachtung)

Anhaltende Verachtung und Negativität können sogar zu einer verzerrten Wahrnehmung gegenüber der eigenen Beziehungsgeschichte führen. Egal wie schön der Sonnenuntergang im ersten Urlaub oder wie innig der erste Kuss, selbst in den schönsten Augenblicken wird plötzlich das Haar in der Suppe gefunden.

Um der Verachtung in deiner Beziehung erst gar keinen Nährboden zu geben, solltest du in jedem Falle deine eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu jeder Zeit offen kommunizieren und Kritik vermeiden. Ist sie allerdings schon etabliert, reicht es oft nicht am Kommunikationsverhalten der Partner zu feilen. Laut Gottmann braucht es dann das Bestärken einer tiefen Freundschaft zueinander, die Basis einer jeden eingegangenen Partnerschaft sein sollte.

Freundschaft […] ist der beste Schutz vor feindseligen Gefühlen gegenüber dem Partner (1)

 

Das Wort Freundschaft steht in diesem Zusammenhang für den Ausdruck von Respekt, Bewunderung und Zuneigung, der einen lieber Zeit miteinander statt allein verbringen lässt. Als Freunde kennt, schätzt und mag man sich und ist dem anderen gegenüber vor allem von Grund auf positiv eingestellt. Genau diese Freundschaft ist zudem entscheidend dafür, warum der gleiche Konflikt sich bei einem Paar in Kritik und Rechtfertigungsversuchen verfängt, während beim Nächsten schon eine einfache Geste oder alberner Blick ausreicht, um die Situation zu retten. Vielleicht überhört der Partner die Kritik aber auch ganz bewusst, weil er weiß, dass sie in Wirklichkeit nicht ihm, sondern einer belastenden Situation zuzuschreiben ist. Funktionieren kann das aber nur, wenn ich die Sorgen und Nöte meines Partners kenne und wenn ich eine grundsätzlich positive Haltung ihm gegenüber habe.

Der Schlüssel [ist] nicht, wie man mit Streitpunkten umgeht, sondern wie man sich einander gegenüber verhält, wenn man nicht streitet (2)

 

In seinem Buch „Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe“ beschreibt John Gottmann für mich sehr anschaulich 7 Ansätze, die dabei helfen, eine eingeschlafene Freundschaft wieder zu erwecken und sie ein Leben lang zu bewahren. Neben vielen Beispielen, Hintergrundinformationen und Dialogen aus Gottmanns Ehelabor, finden sich vor allem zahlreiche Übungen, die euch an die Hand nehmen und helfen die Freundschaft wieder zum Teil eures Beziehungsalltags werden zu lassen. Ich habe es selbst gelesen und kann es an dieser Stelle wirklich allen ans Herz legen, die etwas für Ihre Beziehung machen möchten.

Hier gehts zum Buch

Rechtfertigung – die Nr. 3 von John Gottmanns 4 apokalyptischen Reitern

Wenn die ersten beiden Reiter für den Angriff in einem Konflikt stehen, dann bilden Reiter Nr. 3 und 4 die Verteidigung – Rechtfertigung und Mauern.

Ganz gleich, ob kritischer Hinweis oder verachtende Bemerkung. Wer als Person in Frage gestellt wird, hat in der Regel nicht viel Platz im Kopf für Zugeständnisse oder Einfühlungsvermögen. Stattdessen wird meist alles daran gesetzt, die eigene Integrität wieder herzustellen. Was dann folgt, kennen sicher viele von uns.

„Aber du machst doch auch nie…“, „Bei dir muss ich immer…“ sind typische Muster eines Gegenangriffs,

„Du siehst doch, ich kann gerade nicht, weil …“, „Wenn du nicht immer …, dann würde ich …“.Du willst mich einfach nicht verstehen.“ typisch für eine rechtfertigende Haltung.

Eine Rechtfertigung ist aus Sicht der meisten von uns erst einmal komplett verständlich. Das Problem dabei ist, dass der Kritisierende sich durch die Rechtfertigungen in keiner Weise verstanden oder ernst genommen fühlt, sondern nun ebenfalls direkt oder indirekt beschuldigt wird. Das Hin und Her eskaliert dabei in einen Streit um die Fehler des anderen. Das Zerstörerische an dieser Spirale aus Angriff und Verteidigung ist, dass die Verletzungen auf beiden Seiten mit jeder neuen Kritik und Rechtfertigung tiefer gehen. Dazu kommt, dass die meisten der Gespräche nicht einmal zu einer Lösung des Problems führen, wenn sie auf diese Weise ausgetragen werden.

Kritik, Verachtung und Rechtfertigung […] fungieren als Staffelmannschaft, die einander immer und immer wieder den Stab weiterreicht (3)

 

Beide Partner sollten versuchen Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, auch wenn es dabei nur um einen kleinen Teil des Problems geht. Versuche wirklich zuzuhören und zu verstehen, welches Bedürfnis dein Partner mit der Kritik ausdrücken will, statt unreflektiert auf das Gesagte zu reagieren. Warum das manchmal leichter gesagt, als getan ist, klären wir gleich noch beim letzten der 4  Reiter – dem Mauern.

„Immer liegt hier deine Dreckwäsche rum! Ich hab’s satt ständig alles hinter dir herzurräumen!“

(Kritik)

„Mensch, du siehst doch, dass ich gerade erst zur Tür rein bin. Immer das Gemecker, die Wäsche läuft doch nicht weg.“

(Rechtfertigung)

„Entschuldige, ich hätte es gleich gestern Abend machen sollen, weil ich wusste, dass es heute auf Arbeit länger wird. Ich räume die Sachen schnell weg. Kann ich dir sonst noch irgendwie helfen, bevor die Gäste kommen?“

(Verantwortung übernehmen und Verständnis zeigen)

Im letzten Beispiel erkennt der Kritisierte die eigene Verantwortung am Problem des Partners an. Probiere es einfach mal aus und springe über den eigenen Schatten, auch wenn es schwer fällt. Du wirst feststellen, dass so eine echte Chance auf einen Dialog besteht. Und auch hier gilt. Je mehr du in Zeiten des Friedens in die gemeinsame Freundschaft investiert hast, desto gutmütiger wird dir aller Voraussicht nach begegnet und Missverständnisse lassen sich leichter aus dem Weg räumen. Die 3 folgenden Fragen kannst du außerdem einsetzen, um Verständnis zu zeigen und deinen Partner in kritischen Situationen besser zu verstehen:

  • Was brauchst du?
  • Was bereitet dir Sorgen?
  • Was fühlst du?

Wenn nix mehr hilft – das Mauern

Wenn der Strudel aus Kritik, Verachtung und Rechtfertigung nicht abreißt und sich erstmal als Dauerzustand etabliert hat, kommt der letzte der 4 apokalyptischen Reiter zum Zug – das Mauern. Er kennzeichnet sich dadurch, dass einer der beiden Gesprächspartner irgendwann einfach aus dem Dialog aussteigt und sich abwendet. Weg- oder zu Boden schauen, Blickkontakt vermeiden oder ohne Kommentar den Raum verlassen sind dabei typische Merkmale für das Mauern. Diese Verhaltensweise tritt eher bei langjährigen als bei frisch verliebten Paaren in Erscheinung. Das liegt unter anderem daran, dass es einfach dauert, bis die ersten 3 Reiter genug Negativität erzeugt haben, dass der Kritisierte keinen anderen Ausweg mehr sieht, als dem Gespräch auszuweichen. Einmal eingezogen, kann das Mauern dann schleichend zur Gewohnheit werden.

„Kommt noch was? Da kann ich ja auch echt mit der Wand reden.“

Vielleicht hat der Partner aber auch in vielen Situationen gelernt, dass er es nur schlimmer macht, wenn er in dieser Situation in die Diskussion einsteigt. Dann denkt er beispielsweise zu sich selbst:

„Sei einfach leise. Du machst es eh nur schlimmer. Wie lang kann sie schon so auf dich einreden?“

Dieser gut gemeinte Ansatz führt allerdings unweigerlich zur Eskalation, denn wie bei der Rechtfertigung erfährt der Kritisierende keinerlei Verständnis für sein Anliegen. Im Gegenteil, im direkten Gespräch mit Jemandem drücken die Merkmale des Mauerns eher Gleichgültigkeit aus. Die Ursache für diese destruktive Verhaltensweise liegt in einem Zustand den John Gottmann selbst als „Überflutung“ bezeichnet. Die anhaltende Kritik und Verachtung wirkt auf die eigene Gefühlswelt so bedrohlich, dass der Körper in den urzeitlichen Modus für Kampf und Flucht umschaltet. Puls, Blutdruck und Atemfrequenz steigen, Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet. Klettert die Herzfrequenz während einer Auseinandersetzung auf über 100 Schläge pro Minute (der Normalwert für Menschen um die 30 beträgt zwischen 70-80) ist jede Aussicht auf Problemlösung dahin. In dieser körperlichen Ausnahmesituation nehmen wir nur noch eingeschränkt wahr, das kreative Denken setzt aus, Informationen werden schlechter vermittelt und wir verlieren unser Einfühlungsvermögen. Dinge also, die uns beim feindlichen Angriff vor 10.000 Jahren sowieso nicht geholfen hätten, aber bei der Auseinandersetzung um den vergessenen Jahrestag heutzutage überlebenswichtig sind.

Interessant war für mich auch der Fakt, dass in den Untersuchungen des Washingtoner LoveLab’s zu 85% der Mann in heterosexuellen Beziehungen das mauernde Verhalten an den Tag legte. Die Ergebnisse zeigten, dass der durchschnittliche Mann in einer partnerschaftlichen Auseinandersetzung physisch und emotional stark angegriffen ist, während bei den Frauen die Stressmerkmale nicht so stark ausschlugen und sie sich leichter wieder beruhigten, also über mehr Selbstkontrolle verfügten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass es in den meisten Beziehungen die Frauen sind, die kritische Themen ansprechen und damit eher zu Kritik und Verachtung neigen, während sich die Männer mit den Mitteln von Rechtfertigung und Mauern fälschlicherweise vor der eigenen Überflutung schützen.

Egal wer bei euch zu Hause stärker zum Mauern neigt. Wenn ihr das nächste Mal merkt, dass ihr von den Anschuldigungen eures Partners überwältigt seid und ihr eventuell schon den eigenen Herzschlag spürt, dann habt ihr trotzdem noch Handlungsmöglichkeiten. Einige tiefe Atemzüge in den Bauch oder in Gedanken bis 10 zählen können helfen Blutdruck und Herzfrequenz zu senken. Insbesondere das tiefe Atmen stimuliert das parasympathische Nervensystem, welches auch als Ruhenerv bezeichnet wird. Beide Maßnahmen haben das Ziel euch wieder in einen normalen Erregungszustand zu bringen, in dem ihr die im Beitrag vorgestellten Verhaltensalternativen anwenden könnt. Solltet ihr dennoch das anhaltende Gefühl verspüren, zum Gegenangriff ansetzen, euch rechtfertigen oder mauern zu wollen, dann versucht euch ganz bewusst für eine Auszeit zu entscheiden. Im Unterschied zum Mauern teilt ihr euch bei der Auszeit aber mit und lasst den Partner damit nicht einfach im Regen stehen. Du kannst z.B. folgendes sagen:

„Weißt du, es fällt mir gerade schwer ruhig zu bleiben und ich will dich nicht verletzen. Ich brauche mal eine halbe Stunde. Dann reden wir weiter.“

Ihr könnt aber auch andere Sätze, Worte oder eine Geste verwenden. Egal was, wichtig ist nur, dass es respektvoll bleibt, ihr beide es versteht und vor allem respektiert, wenn einer von euch davon Gebrauch macht. Danach solltest du gehen und die Auszeit nutzen, um dich zu beruhigen. Erstaunlicherweise konnten gerade die männlichen Probanden in Gottmanns Studien ihre Herzfrequenz nicht ausreichend senken, solange sie an den Konflikt oder ihren Partner dachten, ganz gleich, ob sie sich dabei auf positive oder negative Eigenschaften konzentrierten. Die Merkmale der Überflutung ließen dagegen schlagartig nach, sobald sich die Testperson etwas völlig Anderem zuwandte. Alles was dir gut tut, dich ablenkt und beruhigt, wird auch deiner Beziehung helfen. Deshalb lies ein Buch, schau die Sportschau, hör Musik oder betätige dich bei einem  Spaziergang, im Garten oder mit den eigenen Kindern.

John Gottmann und die 4 apokalyptischen Reiter – Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich aber sagen, dass keiner der 4 apokalyptischen Reiter besser oder schlechter als der andere ist. Wir sollten sie alle stets gleich im Auge behalten und versuchen die vorgestellten Verhaltensalternativen als Gewohnheiten in unseren Alltag zu integrieren. In meiner eigenen Partnerschaft hat das Wissen um die 4 Reiter das Bewusstsein für zerstörerisches Beziehungsverhalten auf jeden Fall geschärft und ich arbeite daran, ihnen bestmöglich aus dem Weg zu gehen. Dass dieser Vorsatz mal mehr und mal weniger gut umgesetzt wird, ist oft auch äußeren Umständen geschuldet. Unerledigte Mails von der Arbeit, ein 1-jähriger der die Cornflakes in der Küche verteilt und zwei überlaufende Wäschekorbe verleiten nur zu leicht zum Aufsitzen und Drauflosgaloppieren. Aber auch das fortlaufende Beobachten in Gesprächen mit Freunden, Eltern und Arbeitskollegen hat mir persönlich geholfen meine Wahrnehmung zu schärfen, da ich hier einfach mit mehr emotionalem Abstand agiere. In jedem Fall hoffe ich, dass ihr das Ein oder Andere für eure Partnerschaft aus diesem Beitrag mitnehmt. Außerdem möchte ich euch ein kurzes Video von Gottmanns Institut ans Herz legen. Es ist zwar leider auf Englisch, stellt die Thematik meiner Meinung nach aber nochmal kompakt und anschaulich vor:

 

Quellen:

 

Daniel

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